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Wie
es in Greten Venn begann
Erich Waßer erinnert
sich.
Es war die Zeit des
ersten Weltkrieges. Die Not im Volke war groß und wurde in den darauf
folgenden Jahren noch größer.
In dieser schlimmen Zeit boten verschiedene Organisationen ihre Hilfe
an. Von Hilfe besonderer Art, die in Bielefeld für junge Menschen
angeboten wurde, soll nun die Rede sein.
Emmy Mertgen, eine Bielefelder Lehrerin, die von ihrem Vater die
Mertgen-Vorschule übernommen hatte, nahm sich mit einigen ihrer
Kollegen und Kolleginnen der Volksschuljugend in besonderem Maße an.
Sie stellte die Verbindung zu den Rektoren der Zweiten und Vierten
Bürgerschule und der Siekerschule her. Nun war schon etwas in
Bewegung geraten. Es dauerte nicht lange, da standen eines Tages
Mädchen und Jungen vor Emmy Mertgens Haus in Bielefeld, am Siekerwall
10. Die Kellerräume der Mertgen-Vorschule waren schon entsprechend
eingerichtet. Es wurde eng. Über hundert Kinder kamen dorthin.
"In diesen Räumen", so sagte Emmy Mertgen, "wollen wir
gemeinsam etwas unternehmen. Wir wollen singen, basteln, vorlesen und
besprechen, wohin wir unsere Wanderungen machen wollen."
Da hundert Kinder in den Kellerräumen zuviel waren, teilte sie
Gruppen ein. Dienstags sollten Kinder von der Zweiten Bürgerschule
kommen, donnerstags die von der Vierten und freitags Kinder von der
Siekerschule, jeweils von 16 - 19 Uhr. In diesem Sinne vergingen die
Wintermonate 1916/1917.
Nun war der erste
Ausflug fällig und wurde schon an einem Samstagnachmittag im März
1917 zur Jugendherberge Bielefeld auf dem Meierhof Olderdissen
unternommen.
Vom Wandern war erst
noch nicht die Rede. Doch nach ein paar Monaten war es soweit. Es
wurde besprochen, dass unterwegs irgendwo in der Senne abgekocht
werden sollte. Treffpunkt war diesmal ein Sonntagmorgen 7 Uhr am
Siekerwall 10. Emmy Mertgen hatte einen Kochtopf und Proviant vor die
Tür gestellt, der mitgenommen werden sollte. Sogar ein
Aufhängegestell für den Kochtopf kam mit. Na, dann kann es ja
losgehen! In der Tracht der Wandervögel, mit kurzer Hose,
Schillerhemd und Rucksack standen die Jungen da, die Mädchen in
bunten Kleidern. Emmy Mertgen schaute aufmerksam in die Runde und war
erstaunt darüber, dass alle so plötzlich in richtiger
Wandervogeltracht erschienen. "Wie habt ihr das gemacht?"
fragte sie. "Wir haben andere Jugendliche schon darin
gesehen", war die Antwort.
"Über die
Wandervogelbewegung, die im Oktober 1913 auf dem 'Hohen Meißner' die
berühmte Formel dieser neuen Bewegung aufstellte, erzähle ich euch
heute mittag nach dem Essen. Nun wollen wir aufbrechen und hinaufgehen
zur Promenade, Brandsbusch, Habichtshöhe, dann überqueren wir den
Teutoburger Wald und kommen bei 'Große Bockermann' in die
Senne." So machten wir es dann auch. Es war inzwischen recht warm
geworden. Schuhe und Strümpfe wurden ausgezogen; durch den warmen
Sand geht man angenehmer barfuss.
Nach
gut einer Stunde war ein idealer Rastplatz mit einem Wasserlauf, durch
den klares, kaltes Wasser floß, gefunden. Hier konnten wir lagern und
abkochen, trockenes Holz lag genug herum. Das Feuer loderte, und das
Essen war bald fertig. Daß jeder noch ein Stück Wurst bekam, war
beinahe nicht zu glauben. Emmy Mertgen hatte alles am Tag vorher
besorgt, und nun wurde es redlich verteilt.
Da fragte Eduard
Herterich Emmy Mertgen: "Sie wollten uns nach dem Essen doch von
der neuen Jugendbewegung und dem 'Hohen Meißner' erzählen."
"Ja", sagte sie, "damit wollte ich jetzt
beginnen":
Einige junge Männer in
Berlin gründeten 1896 eine Jugendvereinigung, die über die Grenzen
Deutschlands hinauswachsen sollte. Sie nannten sich Wandervögel und
wählten den jungen Karl Fischer zu ihrem Vorsitzenden. Aus der Enge
der Stadt wollten sie heraus und hinaus in die freie Natur, über
Berge, durch Wälder, über Flüsse und Seen, um frei zu sein. Sie,
die Berliner, hatten es vorgemacht, wie es werden sollte. So bildeten
sich überall in Deutschland Jugendgruppen, denen Jungen und Mädchen
angehörten.
Im Oktober 1913 trafen
sich Jugendgruppen aus Deutschland und aus angrenzenden Staaten auf
dem 'Hohen Meißner', einem Berg der in Nordost-Hessen liegt. Auch
Mitglieder der 1908 in Bielefeld gegründeten Jugendgruppe waren
dabei. Hier stellten sie die berühmt gewordene 'Meißner Formel' auf.
Sie lautet:
'Wir wollen unser
Leben aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer
Wahrhaftigkeit gestalten, die in der Pflege des Wanderns, des
Volksliedes, der Volkstänze, in Betonung einfacher, natürlicher
Lebensweise und Kleidung, in der Bekämpfung von Schund und Schmutz,
Alkohol und Nikotin, durch die Verbreitung guter Literatur, Pflege
edler Geselligkeit reinigend auf Sitten und Gebräuche wirken und
von der Jugend aus an der inneren und äußeren Erneuerung unseres
Volkes mitarbeiten'.
"Diese wunderbare
Formel des 'Hohen Meißner' möchte ich gern haben", sagte ein
Mädchen. "Ich auch!" kam es von allen Seiten. Der kleine
Eduard Herterich von der vierten Bürgerschule sagte: "Ich werde
eine kleine grafische Rarität aus diesem Spruch machen, und dann
lassen wir ihn vervielfältigen." Als Eduard den Spruch fertig
gestaltet hatte, bekam ihn Emmy Mertgen. Sie staunte, wie erstklassig
dieser 'Hohe-Meißner-Spruch' ausgefallen war. Sie ließ ihn
vervielfältigen und verteilte die Blätter an einem der nächsten
Heimabende.
"Bei den
Wanderungen, die wir schon miteinander gemacht haben, kam mir immer
wieder der Gedanke, einen Kotten zu erwerben, in dem wir uns
aufhalten, kochen und übernachten könnten. Ich habe auch schon solch
einen in Aussicht", sagte Emmy Mertgen weiter. "Und wo liegt
der Kotten?" wollte Fritz Reichert von der Vierten Bürgerschule
wissen. "In der Augustdorfer Senne", antwortete Emmy Mertgen.
"Wir können uns den Kotten einmal ansehen." Sie fuhr mit
Fritz Reichert und Willy Timpe dorthin. Als sie nun bei dem
Eigentümer des Kottens waren, wurde erst alles besprochen und dann
der Pachtvertrag abgeschlossen mit dem Versprechen, unter keinen
Umständen auf dem Grundstück ein Feuer anzuzünden. Doch das wurde
nur kurze Zeit gehalten.
Es kam Samstag, der
21. Juni 1917 heran. Da nahm schon die dritte Gruppe Jugendlicher den
Fünfstundenmarsch von Bielefeld nach Augustdorf auf sich. Heute, an
der Sonnenwende, muß ein Feuer her! Das war schnell gemacht. An ein
Verbot dachte niemand. Sie sangen von der Klampfe begleitet 'Flamme
empor!' Es mußte einfach herrlich gewesen sein, aber nicht für die
Augustdorfer Bauern. Die jungen Bielefelder mußten das Grundstück
verlassen und durften es auch nie wieder betreten. Emmy Mertgen schalt
nicht. Sie sagte nur: "Wir wollen es aufgeben, ein
Fünfstundenmarsch hin und der Rückweg genauso lange, das ist
zuviel." Gewandert wurde aber weiterhin, Ziele gab es genug. Die
Väter einiger Kinder, die als Soldat auf Heimaturlaub waren,
wanderten mit. Auch an den Heimabenden waren sie oft dabei und saßen
mit in fröhlicher Runde.
Im Jahre 1917 wurde der Verein Bielefelder Jugendheime e.V.
gegründet. 1917/18 erwarb Emmy Mertgen den Kotten Greten Venn am
Huckepacksweg mit einem 23 Morgen großen Grundstück. Der Kotten war
allerdings noch von einer Senner Familie belegt, die erst nach einiger
Zeit im Ortsteil Dalbke eine Wohnung fand. Da die Bielefelder Wanderer
nur Samstag nachmittags und Sonntags anwesend waren, hatten die
Kottenbewohner in der Woche Ruhe. Der Strohboden war zum Übernachten,
die Deele als Aufenthaltsraum zu benutzen. Es konnte auch ein Herd zum
Kochen aufgestellt werden.
Die
Lage am Huckepacksweg war äußerst günstig. Die Wanderer, die von
Bielefeld kamen, kehrten gern in Greten Venn ein oder gingen weiter
bis in die Augustdorfer Senne zu Vadder Büker, einem alten Senner
Bienenzüchter, der schon die ersten Wandervögel bei sich aufnahm.
1919 bemühte sich die
Lehrerin Marta Ellinghaus, Schüler der Ersten Bürgerschule in den
Verein Greten Venn aufzunehmen. Die Schule lag im Stadtgebiet Kamphof.
Auch Lehrer Krekeler von der gleichen Schule war bereit, mit den
Schülern zu wandern. Die erste größere Wanderung mit ihnen führte
nach Greten Venn. Er unternahm eine Reihe Wanderungen, die nach Greten
Venn gingen. Ein Schulwandern gab es anfangs noch nicht. Das wurde
erst ein Jahr später eingeführt.
Auf dem Kamphof tat
sich in Sachen Wandern etliches. Es wurden nicht nur die älteren
Schuljahrgänge angesprochen, auch jüngere waren gern gesehen. Sie
gehörten dann zur 'Kükengruppe'. Hinzu kamen aber auch Jugendliche,
die schon im Beruf standen und einst Schüler der Ersten Bürgerschule
gewesen waren.
Walter Gößling
gründete die Kükengruppe Kamphof, der auch ich angehörte. Er war
für uns Jüngere ein guter, wendiger Leiter, von dem wir viel gelernt
haben. Aus Holz, Pappe und Papier wußte er die verschiedensten Dinge
herzustellen.
Wichtig war in diesem
Kreise auch das Singen. Unser Liederbuch war der neu herausgekommene
'Zupfgeigenhansel' von Walter Breuer. Mit einer Tasche voll dieser
Bücher kam Lehrer Krekeler zu unseren Heimabenden. Das erste Lied,
das er mit uns sang, war: In Mutters Stübele, da geht der hm, hm. hm,
in Mutters Stübele da geht der Wind.
Vom Kamphof ging noch
eine weitere Initiative aus. Dazu mochte sicherlich Lehrer Krekeler
den Anstoß gegeben haben. Ein 14jähriger Schüler der Ersten
Bürgerschule - mein Bruder Otto Waßer - der schon fünf Jahre
Geigenuntericht hatte, gründete eine Kapelle mit 5 Geigen, 7
Mandolinen, 3 Gitarren und einem Triangel. Diese Kapelle mit 16 jungen
Spielern übte fleißig. Die Spieler konnten nicht nur Volks- und
Wanderlieder spielen, sie spielten auch im 3/4 und 4/4 Takt zum Tanz
auf.
Eines Sonntags war auch
mal für diese Kapelle eine Fußwanderung nach Greten Venn angesetzt.
Der Abmarsch war morgens um 6 Uhr ab Meller Straße Mitte. Etwa 8 - 10
Männer marschierten mit. Nicht alle davon waren Väter von den
Musikern, sondern sie brachten noch interessierte Freunde mit. Frauen
waren nicht dabei. Für die war der 3-Stundenweg zu weit. Wir nahmen
kurz Aufstellung und marschierten mit dem Wanderlied 'Wohlauf in
Gottes schöne Welt' los. Im Nu flogen überall die Fenster auf, denn
so etwas hatten die Bewohner der Meller Straße noch nicht erlebt.
Eine 3-Stundenwanderung lag nun vor uns. Die Instrumente steckten wir
in Bezüge, um sie bequem tragen zu können. Um 10 Uhr waren wir in
Greten Venn und hatten unterwegs zweimal Rast gemacht. Abends fuhren
wir mit der Reichsbahn vom Krackser Bahnhof zurück und trafen kurz
vor 22 Uhr in Bielefeld ein. Wir alle gingen schnell zu der Stelle -
Meller Straße Mitte - von der wir morgens abmarschiert waren. Die
Instrumente waren schnell ausgepackt. Das letzte Gute-Nacht-Lied wurde
gespielt und gesungen 'Ade zur guten Nacht ...'. Wieder flogen die
Fenster auf, und alle Anwohner erlebten diesen Abschluss mit, doch
keiner beschwerte sich ob der vorgerückten Stunde.
Das 23 Morgen große Areal von Greten Venn wies nicht nur Wald- und
Heideland auf; es war auch noch Ackerland zur Genüge vorhanden, das
Bauer Quakernack nicht immer pflügen konnte.
Obwohl
der Senneboden karg war, versuchte Emmy Mertgen mit jugendlichen
Vereinsmitgliedern, das Land zu bebauen. Es wurden Kartoffeln
gepflanzt und Roggen gesät und geerntet, aber es brachte alles nicht
viel. Der Boden war - wie gesagt - arm, und es fehlte der Dünger. Der
Erlös aus den Anpflanzungen brachte nicht einmal soviel ein, wie die
Saatprodukte gekostet hatten.
Das
Land musste mit dem Pflug, aber ohne Pferde bearbeitet werden. Sechs
kräftige Vereinsmitglieder versuchten, den Pflug zu ziehen, den Bauer
Quakernack führte. Schließlich wurde das aufgegeben. Wurde mit dem
Spaten gearbeitet, war man schon eher bereit, die Arbeitenden
abzulösen.
Emmy Mertgen sorgte
auch praktisch für die Jugend, stand selbst am Herd und kochte,
wofür die Jungen Holz zu beschaffen hatten. Sie stellte sich auch hin
und schrubbte die Töpfe und Pfannen. Ihr Ausspruch war: "Man muss
es der Jugend zeigen, wie es gemacht wird."
Der Kotten am
Huckepackweg lag so günstig, dass auch andere Wandergruppen als die
Vereinsmitglieder Greten Venn besuchten. Da aber die
Übernachtungsmöglichkeiten schon für Vereinsmitglieder sehr knapp
waren, schaffte der Verein 1921 eine große Holzbaracke an, die
ausschließlich zum Schlafen diente. Sie hatte 3 Räume. Auf
Bettgestellen aus Stahlrohr lagen Strohsäcke und darüber graue
Bettdecken. Dazu kam noch eine Menge dunkler Decken. Mit diesem
Bestand war das Übernachten in der Baracke und dem Kottenboden
gelöst.
In kurzer Zeit waren
auch die leeren Räume im Kotten mit Tischen, Hockern, Schränken und
Ofen ausgestattet.
Es entsprach einem der
Grundsätze von Emmy Mertgen, das Leben, das sich in Greten Venn
abspielte, sehr einfach zu halten. Hierdurch wollte sie der Jugend
zeigen, dass das Erleben der Natur, die Gemeinschaft im Gespräch, bei
Musik, Spiel und Tanz innerlichen Reichtum gibt, der nicht gebunden
ist an materielle Werte oder gar ersetzt werden kann durch äußere
Güter.
Inzwischen war aber das
Jahr 1923 herangerückt. Es herrschte ein reges Leben und Treiben mit
Musik, Gesang, Tanz und genügend Arbeit in Greten Venn.
Dann stellte sich für
eine kurze Zeit ein Engpass für Übernachtungsmöglichkeiten ein,
denn die Bielefelder Maschinenbaufirma Fischer & Krecke schickte
im Jahre 1923 ihre 20 Lehrlinge zu einer 14-tägigen Erholungsfreizeit
nach Greten Venn. Sie belegten den größten Schlafraum in der
Baracke. Die Lehrlinge hatten in Rona Ritter eine gute Betreuerin.
Vier Jahre schickte die Firma ihre Lehrlinge zur Erholung nach Greten
Venn.
Immer wieder zogen
Wandergruppen verschiedenster Richtungen an Greten Venn vorbei; sie
verweilten aber auch und erlebten das Leben und Treiben dort mit.
In dieser Zeit trat ein
frischer, jugendbewegter Mann in unsere Reihen: Kurt Voßberg. Er
wollte die Greten-Venn-Jugend betreuen und die Jugendarbeit
vorantreiben. Bei der Jugend kam er gut an. Alles, was er anpackte,
gelang ihm. Immerhin blieb er 5-6 Jahre in unseren Reihen. Leider war
es Emmy Mertgen nicht möglich, ihn für Greten Venn anzustellen,
dafür war einfach kein Geld da. So verließ Kurt Voßberg mit
schwerem Herzen Greten Venn und ging nach Hamburg, wo seine Verlobte
schon lange auf sein Kommen wartete. In den 30er Jahren hat Kurt
Voßberg Greten Venn einige Male besucht.
Die gesamte
Jugendbewegung erlebte in den 20er Jahren einen großen Aufschwung,
der sich auch auf das Leben in Greten Venn auswirkte. So mancher
erlebte hier unvergeßliche Stunden bei Sonnenwend- und Lagerfeuern,
bei Spiel und Sport, bei Tanz und Gesang.
Emmy Mertgen ließ
nicht nach, der Jugend nahezulegen, den freien Acker weiterhin zu
bearbeiten, um Kartoffeln und Roggen zu ernten. Doch ein Teil der
Jugend, das soll hier einmal gesagt sein, hatte keine Lust, die
schwere Landarbeit sonntags zu betreiben und sagte: "Wir müssen
in der Woche 54 Stunden in den Betrieben arbeiten und wandern samstags
nachmittags 3 Stunden von Bielefeld nach Greten Venn und legen am
Sonntag den gleichen Weg wieder zurück. Da ist uns die Landarbeit
einfach zu viel. Außerdem ist der Senneboden nicht ertragfähig
genug. Es ist eine falsche Rechnung, dort etwas anzufangen."
Trotzdem blieben einige Getreue bei der Stange. So pflanzten Assi
Waßer und Helmut Eggeringhaus Obstbäume, die Alfred Waßer, der
Gärtner war, mitgebracht hatte.
Gelegentlich lud Emmy
Mertgen auch bekannte Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und
Kultur ein; u.a. erlebten wir sie mit Karl Sewering, dem damaligen
preußischen Innenminister, bei einem versprochenen Besuch in Greten
Venn. Karl Sewering lachte aus vollem Herzen, als sie ihm eine
druckreife Geschichte über Greten Venn erzählte.
Auch der Maler Peter August Böckstiegel machte eine Wanderung von
Werther nach Greten Venn und wurde dort von Emmy Mertgen freudig
begrüßt mit der Bemerkung, sie wollten gleich eine Tasse Kaffee
miteinander trinken, vorher müsse aber Holz kleingemacht werden,
damit das Kaffeewasser zum Kochen gebracht werden könne. Voller
Verständnis griff er zum Beil und zerkleinerte genügend Holz. Diesen
Besuch erlebte auch der heutige Kunstmaler Eduard Herterich, der
damals 18 Jahre alt war.
Zum Kaffeetrinken
wurden Lieder aus dem Zupfgeigenhansel mit Klampfenbegleitung
gesungen, denn es waren genügend gute Gitarrenspieler anwesend. - In
diesem Zusammenhang soll Otto Steffmann erwähnt werden, der besonders
gut Gitarre spielen konnte und mir die Anfangsbegriffe beibrachte.-
Peter August Böckstiegel war von dieser singenden Greten Venn Jugend
hell begeistert und lud sie zu einem Gegenbesuch nach Werther ein.
Dieser ließ nicht lange auf sich warten. An einem Sonntag im August
1925 fuhr ein kleiner Teil mit der Kleinbahn nach Werther. Wir
Jüngeren wanderten über den Teutoburger Wald und trafen singend im
Hause von Peter August Böckstiegel ein. Er empfing uns recht herzlich
und sagte: "Ich habe euch schon von weitem gehört; so etwas
Schönes habe ich noch nicht erlebt." Die Kleinbahnfahrer waren
inzwischen auch angekommen. Es war ein sonniger, warmer Augusttag.
Peter August Böckstiegel wollte in erster Linie Lieder von uns
hören. Er wünschte sich vor allem, daß Änne Zabel das Lied 'Der
Spuk von Lübbenau' sang. Böckstiegel hatte dieses 'grausige' Lied
bei seinem Besuch in Greten Venn gehört. Später ging Böckstiegel
mit uns in sein Arbeitszimmer und erklärte uns ein noch nicht
fertiges Bild, das zwei ältere Personen darstellte. Er nannte sie
'meine Eltern'. Ansonsten spielte sich alles im Freien ab. Abends
fuhren wir allesamt singend mit der Kleinbahn nach Bielefeld zurück.
Im August 1925 führte
Emmy Mertgen als Bezirksjugendpflegerin eine Jugendmusikwoche in
Bielefeld durch. Sie fand in dem neu entstandenen Jugendheim am
Niedermühlenkamp statt. Die Leitung hatte der Berliner Musikprofessor
Fritz Jöde. Er hatte sich in Deutschland vor allem in der
Jugendbewegung einen Namen gemacht. Emmy Mertgen wollte, daß auch
Mitglieder von Greten Venn an dieser Musikwoche teilnahmen. In
Bielefeld bestand schon seit 2 Jahren ein Singkreis unter Leitung von
Friedel Subklew. Jeden Monat fand unter seiner Leitung ein offenes
Singen statt. Die Liederblätter dazu gab Fritz Jöde heraus.
Diese Singabende waren
immer gut besucht. Sie liefen über die Volkshochschule Bielefeld.
Auch Greten Venn profitierte von diesem Singen, denn Friedel Subklew
sang mit seinem Singkreis auch in Greten Venn. Der 1. Kanon, den
Friedel Subklew singen ließ, hieß: 'Es sang eine Nachtigall an einem
Wasserfall'.
Neben dem Singkreis von
Friedel Subklew entstand noch ein Singkreis unter Leitung von Fritz
Enkemann. Auch diese Leute kamen nach Greten Venn hinaus. Auch er
wurde von der Volkshochschule Bielefeld getragen.
Ein jugendbewegter Mann
war auch Wilhelm Fahlberg, der unter dem Spitznamen 'Tackel' bekannt
war. Er kam 1922 von Braunschweig nach Bielefeld und gründete 1923
den ersten Volkstanzkreis. Er tanzte vor allem Tänze, wie sie von dem
Berliner Erich Janitz herausgegeben wurden. Erich Janitz hielt auch
eine Tanzlehrwoche in Bielefeld ab, die von der Jugend sehr begrüßt
wurde. Für den Volkstanz und seine Verbreitung war Wilhelm Fahlberg
der richtige Mann. Um einen möglichst großen Kreis Jugendlicher zu
erfassen, richtete er einen Anfängerkreis ein. Der Kreis für
Fortgeschrittene bestand schon. Übungsraum war die Turnhalle der
Cecilienschule in der Brüderstraße. Beide Kreise wurden von der
Volkshochschule Bielefeld getragen und Mitglieder des Vereins
Bielefelder Jugendheime - also aus Greten Venn - gehörten beiden
Tanzkreisen an. Oft kam Wilhelm Fahlberg mit seinen Tanzkreisen nach
Greten Venn hinaus, und das viele Jahre hindurch.
Gegen Ende der 20er
Jahre brachte Emmy Mertgen Klassen der verschiedensten Schulen nach
Greten Venn. Um diese Zeit war es sehr schwierig, die Kinder bei
geringer Bezahlung satt zu bekommen. Die Arbeitslosenzahl ging schon
in die Millionen und ein Ende war nicht abzusehen. Einige Mädchen
schrieben an Emmy Mertgen, daß sie kein Geld hätten, weil der Vater
erwerbslos sei, daß sie aber gerne auch nach Greten Venn kommen
wollten. Emmy Mertgen antwortete, wo 30 Kinder satt würden, könnten
es auch 32 Kinder werden. Sie durften also kommen.
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